Vom ersten Symptom bis zum Hirntod: Das Fallbeispiel von Maria Dahl

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Der Hirntod bezeichnet den unumkehrbaren Ausfall sämtlicher Funktionen des Gehirns, also von Großhirn, Kleinhirn und Hirnstamm. Dieses Fallbeispiel beschreibt, wie eine scheinbar harmlose Veränderung – ein gerissenes Blutgefäß im Gehirn – schließlich zum Hirntod führte. Die Geschichte basiert auf einem realen Fall aus dem Jahr 2015. Namen und Institutionen wurden geändert.

Kurz gefasst
  • Der Hirntod ist eingetreten, wenn sämtliche Hirnfunktionen irreversibel ausgefallen sind.
  • Das Ausfallen der Gehirnfunktionen kann verschiedene Ursachen haben.
  • Das Beispiel von Maria Dahl veranschaulicht den Verlauf einer Hirnblutung bis zur Diagnose des Hirntods.

3. August, morgens: erste Anzeichen

Maria Dahl ist 63 Jahre alt. Bis auf kleine Beschwerden hin und wieder fühlt sie sich fit und aktiv. Nur ein Bluthochdruck ist bekannt, den sie dank Medikamenten jedoch gut im Griff hat. 

Eines Morgens bemerkt sie beim Blick in den Spiegel, dass ihr rechtes Augenlid etwas hängt, sie einiges doppelt sieht und ihre Augen ungewöhnlich lichtempfindlich sind. Auch zuvor ist ihr bereits eine leichte Muskelschwäche des linken Arms aufgefallen. Schmerzen verspürt sie aber nicht. Sie entschließt sich, noch am selben Vormittag ihren Hausarzt aufzusuchen.

Maria Dahl stellt beim Blick in den Spiegel fest, dass ihr Augenlid etwas hängt.

3. August, mittags: Verdacht auf Aneurysma

Maria Dahls Hausarzt vermutet, dass Hirnnerven beeinträchtigt sind. Die Ursache könnte eine krankhaft erweiterte Schlagader im Gehirn sein: eine Gefäßaussackung (Aneurysma).

Bestätigt sich der Verdacht, besteht Lebensgefahr. Da Maria Dahl nicht stationär im Krankenhaus aufgenommen werden möchte, überweist der Hausarzt sie umgehend zu einem Radiologen, um den Verdacht abzuklären.

3. August, nachmittags: Bestätigung des Verdachts

Die Magnetresonanzangiographie (MRA), mit der Blutgefäße bildlich dargestellt werden können, bestätigt, dass Maria Dahls Hirnschlagader an zwei Stellen krankhaft erweitert ist. Da diese Aneurysmata auf einen Hirnnerv drücken, sind sie wahrscheinlich für ihre Beschwerden verantwortlich.

Das Risiko: Ein Riss der Gefäßwand und eine massive Gehirnblutung. Solche Blutungen führen häufig zu schweren Behinderungen und verlaufen nicht selten tödlich. Der Radiologe rät Maria Dahl, sich umgehend in einem Fachzentrum behandeln zu lassen.

Maria Dahl und ihr Radiologe besprechen die Untersuchungsergebnisse.

4. bis 5. August: Bedenkzeit

Maria Dahl ist verunsichert und muss die Befunde und Ratschläge verarbeiten. Sie verbringt zwei Tage zu Hause und vereinbart schließlich eine Aufnahme in der neurochirurgischen Allgemeinstation eines nahegelegenen Krankenhauses.

6. August, morgens: Zögerliche Entscheidung

Im Aufklärungsgespräch erfährt Maria Dahl das geplante Vorgehen: In einer Operation sollen die krankhaften Gefäßaussackungen ausgeschaltet werden, um Blutungen im Schädelinneren zu verhindern. Die Fachärztinnen und -ärzte raten zu einem OP-Termin am nächsten Tag. Maria Dahl hat Angst vor Komplikationen. Da sich ihre Beschwerden in den letzten Tagen nicht verschlechtert haben, zögert sie, sich überhaupt operieren zu lassen.

Schließlich entschließt sie sich, den Eingriff auf Montag zu verschieben. Trotz der Hinweise, dass sie sich in einer lebensbedrohlichen Situation befindet, verlässt sie über das Wochenende das Krankenhaus, kehrt am Vortag der Operation wieder zurück und verbringt die Nacht auf der Station.

9. August, abends: Maria Dahl trifft am Vortag der Operation wieder in der neurochirurgischen Station ein

Maria Dahl begibt sich am Vortag der Operation wieder ins Krankenhaus und erhält abends eine vom Anästhesisten empfohlene Schlaftablette. Sie verbringt die Nacht auf der Station.

10. August, früher Morgen: Zusammenbruch auf der Station

Auf dem Weg zur Toilette bricht Maria Dahl zusammen. Der Stationsarzt findet sie mit Anzeichen eines epileptischen Anfalls: Muskelzuckungen, Schnappatmung und weit gestellten Pupillen. Bereits während das krankenhausinterne Rettungsteam auf dem Weg ist, kommt es zu einem Herzstillstand.

Der Stationsarzt führt unverzüglich eine Herzdruckmassage durch, woraufhin Maria Dahls Herz wieder selbstständig schlägt. Ihr wird ein Venenzugang gelegt und eine künstlichen Beatmung angeschlossen, doch auch daraufhin bleibt sie bewusstlos und ohne Reflexe. Die Computertomographie (CT) des Kopfes (eine spezielle 3D-Röntgenuntersuchung, mit der Schnittbilder des Körpers angefertigt werden) zeigt: Eine der Gefäßaussackungen ist gerissen. Es liegt eine massive Gehirnblutung vor.

Maria Dahl ist auf dem Krankenhausflur zusammengebrochen.

10. August, früher Morgen: Steigender Hirndruck

Durch das Reißen des Aneurysmas ist der geplante Eingriff nun nicht mehr möglich. Als Folge der Gehirnblutung ist der Druck im Schädelinneren krankhaft erhöht. Er muss dringend gesenkt werden muss.

Maria Dahl wird ein kleiner Zugang (Katheter) im Schädel gesetzt, über welchen mit Blut angereichertes Nervenwasser abgelassen werden kann. Unter günstigen Bedingungen sinkt danach der Druck im Schädelinneren, sodass das Gehirn wieder besser durchblutet und mit Sauerstoff versorgt wird. Allerdings gelingt das bei Maria Dahl nicht: Der Schädelinnendruck kann nicht ausreichend gesenkt werden und weitere Untersuchungen deuten darauf hin, dass ihr Gehirn nur mangelhaft durchblutet wird. Die Ärztinnen und Ärzte unternehmen weitere Behandlungsversuche, um den Schädelinnendruck zu senken – jedoch ohne Erfolg. Der Zustand ist kritisch und zunehmend lebensbedrohlich.

10. August, abends: Keine Aussicht auf Rettung

Trotz aller Maßnahmen bleibt der Schädelinnendruck sehr hoch. Die Ärztinnen und Ärzte befürchten, dass Maria Dahl nicht mehr zu retten ist: Der Druck wird vermutlich weiter ansteigen und die Durchblutung des Gehirns zum Erliegen bringen, Teile des Gehirns werden absterben. Ärztinnen und Ärzte verschiedener Fachrichtungen besprechen sich über Maria Dahls Zustand und fassen zusammen:

  • Es liegt eine schwere, lebensbedrohliche Gehirnblutung aus einer Hirnschlagader vor.
  • Die Untersuchungen legen nahe, dass die Gehirndurchblutung zum Stillstand gekommen ist.
  • Es ist nicht gelungen, Maria Dahls Zustand zu verbessern.
  • Beide Pupillen sind seit nunmehr einigen Stunden geweitet und reagieren nicht auf Lichteinfall und der Hustenreflex kann nicht ausgelöst werden.

Es ist wahrscheinlich, dass der Hirntod bereits eingetreten ist oder kurz bevorsteht – der Zustand von Maria Dahl lässt sich aktuell jedoch durch die Einwirkung von Narkosemitteln und anderen Medikamenten nicht zweifelsfrei einschätzen. Sie beschließen, nach Abklingen der Medikamente die Hirntoddiagnostik einzuleiten.

Drei Ärzte stehen im Flur eines Krankenhauses und beraten sich.

11. August, morgens: Finale Diagnose

Um den Hirntod sicher nachzuweisen, leiten die Fachärztinnen und -ärzte ein mehrstufiges Diagnostikverfahren gemäß der Richtlinie der Bundesärztekammer ein. Die Diagnostik muss demnach von zwei Fachärztinnen oder -ärzten unabhängig voneinander durchgeführt werden. Nur wenn beide Ärzte den Hirntod festestellen, ist er als Diagnose bestätigt. Erst dann gilt der Hirntod als sicher nachgewiesen.

Die Hirntoddiagnostik bei Maria Dahl bestätigt den Verdacht und stellt die finale Diagnose: Hirntod. Mit dem unumkehrbaren Ausfall der gesamten Hirnfunktionen ist ihr Tod nach neurologischen Kriterien sicher festgestellt.