„Organspende – Die Entscheidung zählt!“: „Wie gehen Sie als behandelnde Ärztin vor, wenn die Patientin oder der Patient sich selbst nicht mehr äußern kann und keine Patientenverfügung vorliegt?“
De Heer: „Wir sprechen in jedem Fall mit den Patientenvertretungen und Angehörigen und fragen: Was ist der Wille der Patientin bzw. des Patienten? Haben Sie darüber gesprochen? Was ist Ihnen und Ihrer bzw. Ihrem Angehörigen wichtig? Auf Basis von persönlichen Gesprächen über Wertvorstellungen und konkreten Angaben zur Lebensqualität des angehörigen Menschen können wir dann alle weiteren Maßnahmen besprechen.“
„Organspende – Die Entscheidung zählt!“: „Und was machen Sie, wenn die Patientenverfügung vorliegt?“
De Heer: „Auch in diesem Fall sprechen wir immer mit den Angehörigen bzw. der Person, die für die Umsetzung der Patientenverfügung benannt wurde. Die Patientenverfügung ist die Basis unserer Entscheidungen, aber die Aussagen der Angehörigen sind eine äußerst wichtige Ergänzung. Mit ihnen besprechen wir in Ruhe alle weiteren Maßnahmen und Möglichkeiten. Es braucht Geduld und Erfahrung, in so schwierigen Situationen mit den Angehörigen zu kommunizieren und für sie da zu sein.
„Organspende – Die Entscheidung zählt!“: „Die Zahl von Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen nimmt in Deutschland stetig zu. Wie sieht es auf der Intensivstation im UKE aus?“
De Heer: „Etwa 60 Prozent unserer Patientinnen und Patienten haben keine Patientenverfügung. 30 bis 40 Prozent geben an, dass sie eine besitzen, was aber nicht heißt, dass diese auch abgegeben wird und uns auf der Station zur Verfügung steht. Beispielsweise finden die Angehörigen die Verfügung manchmal nicht oder es ist doch keine vorhanden. In manchen Fällen möchten die Angehörigen die Verfügung auch vielleicht nicht abgeben.“
„Organspende – Die Entscheidung zählt!“: „Wie sieht eine Patientenverfügung aus, die Ihnen als Ärztin wirklich weiterhilft?“
De Heer: „Derzeit boomen Patientenverfügungen mit vorgegebenen Optionen zum Ankreuzen. Das erscheint aber nur auf den ersten Blick praktisch, da die Individualität fehlt. Wenn beispielsweise jemand Speiseröhrenkrebs hat, kommen für ihn ganz andere Therapiemaßnahmen infrage als für einen chronisch Kranken. Das heißt: Jeder Mensch, der eine Patientenverfügung verfasst, sollte dies auf Basis seines bisherigen Lebens- und Krankheitsverlaufs machen. Behandelnde Ärztinnen und Ärzte können dabei helfen.“
„Organspende – Die Entscheidung zählt!“: „Es gibt Fälle, in denen sich Patientinnen und Patienten in ihrer Patientenverfügung die Abschaltung aller lebenserhaltenden Maßnahmen wünschen, aber im Organspendeausweis einer Organspende zugestimmt haben. Sind das widersprüchliche Aussagen? Wie gehen Sie in diesem Fall vor?“
De Heer: „Das ist tatsächlich ein problematischer Punkt. Eine Organspende kann nur nach Feststellung des Hirntods bzw. des irreversiblen Ausfalls der Hirnfunktionen erfolgen. Bis dahin sind in jedem Fall intensivmedizinische Maßnahmen, wie beispielsweise künstliche Beatmung, erforderlich. Daher ist auch hier das Gespräch mit den Angehörigen ungemein wichtig. Wir müssen sie über die notwendigen medizinischen Maßnahmen bis zur Realisierung einer Organspende informieren.“
„Organspende – Die Entscheidung zählt!“: „Viele Patientinnen und Patienten haben Angst, dass für sie auf der Intensivstation nicht alles getan wird und keine Zeit für überlegte Entscheidungen ist – erst recht, wenn ein Organspendeausweis und eine Patientenverfügung vorliegen. Was sagen Sie dazu?“
De Heer: „Gerade bei schwierigen, weiterreichenden Entscheidungen müssen wir uns die Zeit nehmen, um mit Patientinnen und Patienten bzw. Angehörigen in Ruhe ins Gespräch zu kommen. Vor dem Gespräch über eine mögliche Organspende steht in jedem Fall die umfassende medizinische Versorgung der schwer kranken Menschen im Vordergrund. Erst bei einem drohenden Hirntod rückt das Thema Organspende in den Fokus. Unsere Patientinnen und Patienten haben jederzeit höchste Priorität und wir tun alles, um ihr Leben zu retten und gleichzeitig ihren Willen zu befolgen.“