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Die Organspende aus Sicht des Judentums

Kurz gefasst

Aus jüdischer Sicht ist die Spende von Organen und Geweben ein Akt der Nächstenliebe. Um Menschenleben zu retten, ist die Spende damit zulässig. Die Organspende nach dem Tod ist jedoch ein Sonderfall. Ihre Zulässigkeit ist innerhalb des Judentums nicht unumstritten. Hier ist vor allem die Definition des Todes ein Streitpunkt. Aus jüdischer Sicht ist ein Mensch erst tot, wenn Herzschlag und Atmung stillstehen. In Deutschland gilt der Tod als nachgewiesen, wenn der unumkehrbare Ausfall der gesamten Hirnfunktionen (Hirntod) festgestellt wurde. Bis zu einer Organentnahme werden Herzschlag und Atmung künstlich aufrechterhalten. Menschen jüdischen Glaubens stehen daher vor der sehr persönlichen Aufgabe, die eigene Auffassung von Leben und Tod zu klären.

Bei der Organspende gibt es im Judentum geteilte Meinungen

Grundsätzlich wird die Organ- und Gewebespende aus jüdischer Sicht anerkannt. Die Spende von Organen oder Geweben wird als ein Akt der Nächstenliebe auf höchstem Niveau bezeichnet. Ein Sonderfall ist jedoch die postmortale Organspende. Hier sind sich die jüdischen Gelehrten uneinig. Innerhalb des konservativen und orthodoxen Judentums wird von einigen Vertretern die Spende von Organen nach dem Tod vielfach kritisch gesehen oder ganz abgelehnt.

Viele liberale Juden dagegen befürworten die postmortale Organspende. Eine einheitlich anerkannte Akzeptanz oder Ablehnung der postmortalen Organspende gibt es im Judentum also nicht.

Die Rettung von Leben steht an höchster Stelle

Nach der jüdischen Religion wird der eigene, menschliche Körper als eine Leihgabe von Gott betrachtet. Deshalb ist jeder Mensch verpflichtet, diese Leihgabe, also den eigenen Körper, zu schützen und für dessen Unversehrtheit zu sorgen. Das bedeutet ein Mensch darf sich nicht freiwillig in Gefahr bringen oder sich Verletzungen zufügen. Diese Sichtweise hat Auswirkungen auf eine Organ- oder Gewebespende. Bei einer Lebendorganspende, zum Beispiel, steht die Gesundheit der spendenden Person an höchster Stelle, während der Entnahmeoperation wird jedoch die Unversehrtheit des Körpers unterbrochen.

Von diesem Standpunkt betrachtet, hat der Mensch eigentlich kein Recht die eigenen Organe oder Gewebe zu spenden. Hier kommt ein anderer Grundsatz des jüdischen Glaubens ins Spiel: Pikuach Nefesch. Folgt man ihm, kann eine Organ- oder Gewebespende doch zulässig sein.

Pikuach Nefesch

Dieser Grundsatz innerhalb des Judentums besagt, dass beinahe jedes andere religiöse Gebot oder Verbot beiseitegeschoben werden darf, um menschliches Leben zu retten. Nur das eigene Leben darf die oder der Rettende dabei nicht aufs Spiel setzen. Dieser Grundsatz wird als Pikuach Nefesch bezeichnet, was wörtlich „ein Leben retten“ bedeutet. Denn Pikuach Nefesch heißt auch: Wenn jemand ein Leben retten kann, ohne sich dabei selbst in Gefahr zu bringen, dann muss diese Person es auch tun. Eine Organ- oder Gewebespende wäre damit zulässig, wenn sie einem anderen Menschen das Leben rettet.

Die Zulässigkeit der Organspende nach dem Tod wird im Judentum kritisch diskutiert

Ob eine postmortale Organspende zulässig ist, ist in der halachischen (jüdisch-rechtlichen) Auslegung der Tora nicht eindeutig. Das größte Argument gegen eine Organspende nach dem Tod entsteht aus der Definition des Todes. Aus jüdischer Sicht ist ein Mensch erst dann tot, wenn Herzschlag und Atmung stillstehen. In Deutschland gilt jedoch als eine Voraussetzung für eine postmortale Organspende, dass die gesamten Hirnfunktionen unumkehrbar ausgefallen sind, also der Hirntod eingetreten ist. Mit ihm ist der Tod des Menschen nachgewiesen. Bei einem hirntoten Menschen stehen Atmung und Herzschlag jedoch nicht still, sondern werden künstlich aufrechterhalten. Dies weicht vom jüdischen Todesverständnis ab.

Besonders deutlich zeigt sich dieser Konflikt im Fall von Herztransplantationen. Während der Entnahmeoperation wird die Herztätigkeit so lange wie möglich aufrechterhalten bevor das Organ dann entnommen werden kann. Aus jüdischer Sicht, handelt es sich bei dem hirntoten Menschen nicht um einen verstorbenen Menschen. Es ist halachisch unzulässig, den Sterbeprozess zu beschleunigen – auch dann, wenn dadurch ein anderes Leben gerettet werden kann. Lange Zeit haben es halachische Autoritäten daher abgelehnt, bei hirntoten Menschen bereits vom Tod auszugehen.

Das Verständnis vom Tod

Die meisten liberalen und ein Teil der konservativen und orthodoxen jüdischen Autoritäten erkennen den unumkehrbaren Ausfall der gesamten Hirnfunktionen (Hirntod) als endgültigen Tod des Menschen an. Eine Organentnahme ist damit zulässig. Im konservativen und orthodoxen Judentum hingegen akzeptieren einige der jüdischen Autoritäten diese Auffassung nicht. Sie weisen darauf hin, dass auch der Körper hirntoter Menschen eine Reihe von Merkmalen des Lebens zeigt: Wundheilung, Verdauung oder Wachstum funktionieren auch während der künstlichen Aufrechterhaltung von Atmung und Herzstillstand.

Für diese konservativen und orthodoxen Rabbinerinnen und Rabbiner sind hirntote Menschen Sterbende, deren Leben bis zum letzten Augenblick erhalten werden muss. Das schließt die Entnahme lebenswichtiger Organe vor dem Zeitpunkt des Herz- und Atemstillstands aus. Menschen jüdischen Glaubens stehen beim Thema Organspende daher zunächst vor der sehr persönlichen Aufgabe, die eigene Auffassung von Leben und Tod zu klären.

Der Umgang mit dem Körper Verstorbener wird streng reguliert

Aus jüdischer Sicht gehört ein jeder menschlicher Körper Gott. Dies gilt auch dann, wenn der Tod des Menschen bereits eingetreten ist. Vier wichtige Prinzipien verbieten den Eingriff an einer Leiche und müssen bei einer postmortalen Organspende berücksichtigt werden:

  • das Verbot, eine Leiche zu verstümmeln oder zu entweihen,
  • das Verbot, Profit aus einer Leiche zu ziehen,
  • das Gebot, Verstorbene möglichst rasch zu beerdigen,
  • das Gebot, den Körper im Ganzen zu beerdigen.

Hier kommt jedoch wieder das Prinzip Pikuach Nefesch zum Tragen. 

Das heißt, auch diese Gebote und Verbote dürfen beiseitegeschoben werden, wenn dadurch ein Menschenleben gerettet werden kann. Die Organentnahme ist dann unter bestimmten Voraussetzungen möglich: Erstens muss es eine konkrete Person geben, die mit genau diesem Organ gerettet werden kann. Zweitens muss die medizinische Wahrscheinlichkeit, dass diese Person durch den Eingriff gerettet werden kann, hoch sein. Drittens muss die spendende Person oder nach deren Versterben stellvertretend die nächsten Angehörigen ausdrücklich eingewilligt haben.

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