Julias Leben mit Spenderherz – Betroffenenporträt

Julia Henning ist 24 Jahre alt, im Alter von 21 Jahren bekommt sie ein Herz transplantiert. Während für viele Menschen in diesem Alter ein neuer Lebensabschnitt mit dem Auszug aus dem Elternhaus, dem Anfang eines Studiums oder der ersten ernsthaften Liebe beginnt, verbringt Julia ihre Zeit in Wartezimmern oder Krankenhausbetten. Was im Vordergrund steht: die Gesundheit und die Suche nach einem passenden Spenderherz.

Ein neues Herz und Leben

„Todkrank genug zu sein, um die Chance zu haben, wieder gesünder zu werden“, das ist Julias Gedanke, als sie erfährt, dass sie ein Spenderherz benötigt und dafür bei Eurotransplant gelistet werden muss. Sie hat einen Gendefekt, wodurch Sie schon im Kindesalter herzkrank war und unter Herzrhythmusstörungen, sowie einer Herzschwäche litt. Medikamente und jegliche Therapieformen reichten irgendwann nicht mehr aus, sodass Julia auf ein neues Herz angewiesen war.

Allein in Deutschland stehen derzeit mehr als 8.000 Menschen auf der Warteliste für eine Organtransplantation. Die Wartezeit für ein passendes Spenderorgan kann oft mehrere Monate bis hin zu mehreren Jahren dauern.

Als man Julias Fall als „hochdringlich“ einstuft, wartet sie danach nur zwei Wochen zu Hause, bevor sie für die weitere Wartezeit in ein Krankenhaus aufgenommen wird. Sie beschreibt die Aufnahme als eigenartig: Man betritt ein Zimmer auf Zeit, doch niemand kann sagen, wie lange diese Zeit wirklich sein wird.

Glücklicherweise soll Julia nicht lange auf ein Spenderherz warten müssen. Nach nur 13 Tagen im Krankenhausbett kommen die Ärzte nachts zu Julia ins Zimmer und teilen ihr mit, dass es ein passendes Spenderherz gibt. Bis zur eigentlichen OP vergingen dann nochmal acht Stunden. Stunden, die von Hoffen und Bangen geprägt sind. Denn natürlich kann das Spenderorgan bis zum letzten Moment noch abgelehnt oder als nicht passend eingestuft werden. In dieser schweren Zeit weichen Julias Eltern, ihr Partner und ihr Bruder nie von ihrer Seite.

Nach Stunden des Hoffens bringt der erlösende Anruf Gewissheit: Die Transplantation kann durchgeführt werden. Als es losgeht, verspürt Julia keine Angst. Man könne es naiv nennen, sagt sie, aber für sie habe es damals keine andere Option als diese gegeben. Optimismusund zugleich enorme Trauer sind Gefühle, die Julia in Momenten vor der Operation begleiten. Sie ist sich bewusst, dass mit diesem Herzen ihr selbst und ihrer Familie viel Freude und Hoffnung geschenkt wird, während wahrscheinlich eine andere Familie um einen verstorbenen Menschen trauert. 

Das Leben nach der OP

Der aufwendige Eingriff verläuft zum Glück gut. Dennoch hat Julia sich den Moment danach anders vorgestellt, als er dann tatsächlich ist. Denn als sie aufwacht, steht sie unter einem hohen Medikamenteneinfluss und ist intubiert, sodass sie nicht sprechen kann. Unvorstellbare Schmerzen und eine maximale Hilflosigkeit sind das Einzige, was ihr heute noch in Erinnerung bleibt.

Sechs Wochen nach der Operation darf Julia das Krankenhaus verlassen. Es folgen noch einige Wochen in der Reha, bevor sie wieder nach Hause zurückkehrt. „Zuhause kann man am besten heilen“, sagt sie heute. Und wenn man sie fragt, was für Sie der schönste Moment nach der ganzen Zeit war, steckt die Antwort nicht in den großen Ereignissen – sondern in den kleinen Dingen, die plötzlich eine enorme Bedeutung bekommen: Sei es die Dusche am Morgen, das Schließen der Badezimmertüren für die eigene Privatsphäre oder darüber entscheiden zu können, wann man was essen möchte. Selbstverständlichkeiten, die für Julia zu einem ganz neuen Stück Leben werden.

Was sich nach der Transplantation am meisten verändert? Für Julia ist es das erste Mal, wirklich zu spüren, wie sich ein gesundes Herz anfühlt. Der kräftige Herzschlag, der regelmäßige Rhythmus und der stabile Blutdruck wirkten anfangs fast überfordernd – ungewohnt intensiv, aber auch wie ein Versprechen auf ein neues, starkes Leben.

Dieses Foto zeigt Julia im Interview in einer Nahaufnahme.

Ein Herz für Zwei

Auch Jahre später empfindet Julia noch immer eine tiefe Dankbarkeit: Zum einen für das Ärzteteam, das sie mit so viel Kompetenz und Fürsorge begleitet hat, zum anderen für ihre Familie, ihre Freunde und ihren Partner, die ihr zur Seite standen, wenn sie selbst keine Kraft mehr hatte. Und ganz besonders für die Spenderin ihres Herzens. Gerade in den schönen Momenten des Lebens denkt Julia an sie – und versucht, diese Augenblicke für zwei zu erleben.

Die Identität der Spenderin bleibt laut Gesetz anonym – auch Jahre nach der Transplantation. Über die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) kann lediglich das Geschlecht der spendenden Person erfragt werden. Über die DSO kann Julia auch ihre Dankbarkeit ausdrücken: mit einem anonymen Brief an die Familie der Spenderin. Schon kurz nach dem Eingriff setzt sie sich hin und schreibt. Sie möchte Worte finden für das, was kaum auszudrücken ist – für das neue Leben, das ihr geschenkt wurde. Und sie möchte eines versprechen: dass sie gut auf das Herz achtgeben und das Leben nun für zwei weiterleben wird.

Julias Stimme für Organspende

Diese Verbundenheit mit der Spenderin und das Bewusstsein für das Geschenk, das ihr gemacht wurde, motivieren Julia heute, ihre Geschichte öffentlich zu teilen. Auf Instagram erzählt sie ehrlich und ungefiltert von ihren Erfahrungen. Damals hätte sie sich gewünscht, dass es jemanden wie sie gegeben hätte, der seine Erfahrungen geteilt hätte. Jemand in ihrem Alter, der genauso offen über den Umgang mit Organspende spricht. 

Aus diesem Wunsch heraus engagiert sie sich heute aktiv in der Aufklärungsarbeit: Sie möchte Betroffenen das Gefühl geben, nicht allein zu sein und gleichzeitig mehr Menschen für die Bedeutung der Organspende sensibilisieren. Julias Geschichte zeigt eindrucksvoll, wie zerbrechlich und gleichzeitig kostbar das Leben ist. Ihre Herztransplantation war nicht nur ein medizinischer Eingriff, sondern der Beginn eines zweiten Lebens, das von Dankbarkeit, Schmerz und Mut geprägt ist. 

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