Demokratie und die Organspende: Zustimmungslösung und Entscheidungslösung

In Deutschland ist die postmortale Organspende gesetzlich über das Modell der Entscheidungslösung geregelt. Jeder Mensch ist dazu angehalten eine Entscheidung für oder gegen die Organspende zu treffen, ein Zwang besteht jedoch nicht. Wird keine Entscheidung getroffen, so müssen im Fall der Fälle die Angehörigen befragt werden. Diese gesetzliche Regelung wird in Deutschland immer wieder politisch diskutiert. Dabei dreht sich die Diskussion besonders um drei Modelle: die Zustimmungslösung, die Entscheidungslösung und die Widerspruchsregelung. Welche Lösung passt dabei am besten zu den demokratischen Prinzipien Freiheit, Selbstbestimmung und Solidarität?

Kurz gefasst

  • Die Organspende berührt zentrale demokratische Prinzipien: Selbstbestimmung und gesellschaftliche Verantwortung.
  • Für die Organspende in Deutschland gilt aktuell eine abgewandelte Zustimmungslösung: die Entscheidungslösung. Eine Spende ist nur mit ausdrücklicher Zustimmung erlaubt.
  • Derzeit gibt es zwei Gesetzesentwürfe, die die Einführung der Widerspruchslösung beinhalten. Das heißt: Jede Person würde so als potenzielle Spenderin oder Spender gelten, solange kein Widerspruch für die Organspende erfolgt.
  • In zahlreichen europäischen Ländern ist die Widerspruchslösung bereits gesetzlich verankert.

Organspende und demokratische Verantwortung

Organspende ist nicht nur eine medizinische Entscheidung, sondern auch ein Ausdruck demokratischer Werte einer Gesellschaft. Um den Grundsätzen der Demokratie zu entsprechen, muss das Recht über den eigenen Körper zu bestimmen, gewahrt werden. Niemand darf gezwungen werden, die eigenen Organe zu spenden. In einer demokratischen Gesellschaft wie Deutschland würde ein solcher Zwang in die Grundrechte massiv eingreifen. 

Eine demokratische und freie Gesellschaft hat mit den heutigen medizinischen Möglichkeiten der Organspende zwei Aufgaben: Sie muss zum einen den Menschen helfen, die verzweifelt auf ein Spenderorgan warten. Aber sie muss gleichzeitig auch das Recht auf Selbstbestimmung jeder Person wahren, die potenziell Organe spenden könnte. Genau diese Herausforderung, beidem gerecht zu werden, sorgt immer wieder für Diskussionen.

Was ist die Zustimmungslösung bei Organspende?

Die Entscheidungslösung ist das derzeit in Deutschland geltende Modell zur Organspende. Es beinhaltet Aspekte der erweiterten Zustimmungslösung. Das bedeutet, Organe dürfen in Deutschland nur entnommen werden, wenn der oder die Verstorbene ausdrücklich zugestimmt hatte. Oder, falls keine Erklärung vorliegt, die Angehörigen im Sinne des mutmaßlichen Willens entscheiden.

Gleichzeitig legt das deutsche Gesetz großen Wert darauf, dass die Bürgerinnen und Bürger bei ihrer individuellen Entscheidung für oder gegen eine Organspende unterstützt werden. Das geht vor allem durch das Angebot an Informationen zu dem Thema, wie etwa auf dieser Webseite oder durch regelmäßige Aussendungen der Krankenkassen. Ziel ist es, die Menschen zu einer bewussten Auseinandersetzung mit der Entscheidung für oder gegen die Organspende anzuregen und diese dann zu dokumentieren. Das funktioniert zum Beispiel im Organspendeausweis oder im offiziellen Online-Register.

Gut zu wissen

Widerspruch, Zustimmung? Was ist besser für die Organspendezahlen?

Eine einfache Antwort auf diese Frage gibt es leider nicht. Die Organspendezahlen sind ein multikausales Geschehen. Wichtig sind, um die Zahl von Spenderorgane zu steigern, auch eine proaktive Spendererkennung und gut ausgebildete Transplantationsbeauftragte in den Krankenhäusern. Gesellschaftliche Strukturen und andere medizinische Voraussetzungen sind Faktoren, die die Zahl von Spenderorganen beeinflussen können. Wie sich die Widerspruchslösung auf die Organspendezahlen auswirkt, ist kaum vorherzusagen. Sie könnte jedoch, wenn sie von Politik und auch von der Gesellschaft mitgetragen wird, einen Baustein darstellen, um bei der Organspende in Deutschland einen Kulturwandel herbeizuführen.

Was ist die Widerspruchslösung bei Organspende?

Im europäischen Vergleich gehört Deutschland zu einer Minderheit von Ländern mit der Zustimmungslösung, wie zum Beispiel auch Irland und Litauen. Der größere Teil der europäischen Länder hat die Widerspruchslösung eingeführt. In der Schweiz gilt sie voraussichtlich ab 2026 und in Dänemark seit 2025.

Bei der Widerspruchslösung gilt jede Person grundsätzlich als potenzielle Spenderin oder Spender, sofern kein ausdrücklicher Widerspruch erfolgt. Diese Regelung ist derzeit in vielen europäischen Ländern in Kraft, darunter Österreich, Spanien und Frankreich. 

Entscheidungsträger in der Demokratie: Wer bestimmt über Organspende-Regeln?

In Deutschland handelt es sich bei der Bundesregierung um eine demokratisch legitimierte Einrichtung. Sie wird vom Bundestag gewählt. Der Bundestag setzt sich direkt aus den Ergebnissen demokratischer Wahlen zusammen. Die deutsche Gesetzgebung im Allgemeinen liegt beim Bundestag und wird vom Bundesrat unterstützt. Jeder Gesetzesvorschlag, wie etwa die Einführung der Widerspruchslösung für die Organspende, wird in einem mehrstufigen Verfahren diskutiert und dann als Gesetz verabschiedet oder verworfen

Zuerst wird eine Gesetzesinitiative gestartet, die entweder von der Bundesregierung, dem Bundesrat oder aus der Mitte des Bundestages stammt. Nach der Vorstellung des Gesetzesentwurfs im Bundestag folgen drei Lesungen und Beratungen in den zuständigen Ausschüssen. Stimmt der Bundestag zu, wird das Gesetz dem Bundesrat vorgelegt, der bei Zustimmungsgesetzen ebenfalls zustimmen muss. Nach der Verkündung im Bundesgesetzblatt durch den Bundespräsidenten tritt das Gesetz in Kraft und ist für alle verbindlich.

Der aktuelle politische Stand

In Deutschland wurden jüngst zwei Gesetzesentwürfe im Bundestag diskutiert, die die Einführung der Widerspruchlösung beinhalten. Einer dieser Gesetzesentwürfe stammt von einer fraktionsübergreifenden Gruppe von Abgeordneten des Bundestags. Der zweite Gesetzesentwurf stammt vom Bundesrat.

Der Gesetzesentwurf der Fraktionen zur Widerspruchslösung wurde im Dezember 2024 in seiner 1. Lesung im Bundestag diskutiert und anschließend an den Ausschuss für Gesundheit des Bundestags überwiesen. Dort standen beide Entwürfe am 29. Januar 2025 im Mittelpunkt und wurden kontrovers diskutiert, ohne dass es zu einer Einigung kam.

Im September 2025 griff der Bundesrat das Thema erneut auf und beschloss in einer Plenarsitzung den Gesetzentwurf zur Einführung der Widerspruchslösung erneut in den Bundestag einzubringen. Damit liegt die Entscheidung nun wieder beim Bundestag, der in den kommenden Monaten über die Vorlage beraten und abstimmen muss. Dabei wird insbesondere geprüft, wie die Widerspruchslösung mit dem Recht auf Selbstbestimmung vereinbar ist und welche Auswirkungen sie auf Angehörige und die medizinische Praxis hat.

Ethische und gesellschaftliche Debatte zur Widerspruchslösung

Kritikerinnen und Kritiker sehen in der Widerspruchslösung einen Eingriff in die körperliche Selbstbestimmung. Schweigen als Zustimmung zu werten, kritische Stimmen schätzen das als eine ethisch bedenkliche Einstellung ein. Befürworterinnen und Befürworter sowie juristische Stellungnahmen betonen, dass die Widerspruchslösung durchaus verfassungskonform sei. In ihren Augen würde sie eine Entlastung der Angehörigen darstellen, die nicht mehr gezwungen wären, stellvertretend eine Entscheidung zu treffen. Außerdem hoffen sie auf einen Kulturwandel in der Organspende, der zu mehr Spenderorganen führt. 

Das Thema beschäftigt auch Zuständige aus der Kirche und der Medizin. Folgende Meinungen wurden dazu bekannt: 

  • Der Deutsche Ärztetag sprach sich im Mai 2024 in Berlin mehrheitlich für die Einführung der Widerspruchsregelung aus. Die Ärzteschaft sieht darin die Chance, die Zahl der Spenderorgane zu erhöhen, warnt jedoch gleichzeitig vor einem Vertrauensverlust, wenn Aufklärung und Transparenz nicht gewährleistet sind.
  • Die katholischen Bischöfe in Deutschland bekräftigten im Januar 2025 ihre Ablehnung der Widerspruchsregelung. Sie warnten vor einem Verlust des Respekts gegenüber der persönlichen Entscheidungsfreiheit.

Fazit: Organspende zwischen Selbstbestimmung und gesellschaftlicher Pflicht

Die Debatte rund um Zustimmungslösung und Widerspruchslösung bei der Organspende in Deutschland zeigt, wie stark medizinische Fragen mit Grundprinzipien der Demokratie verwoben sind. Selbstbestimmung und Verantwortung ergänzen sich dabei und sind daher zwei der wichtigsten Werte, die in der Debatte zu beachten sind. 

Welche Regelung sich in Deutschland durchsetzen wird, entscheidet der Bundestag auf Grundlage intensiver Diskussionen, wissenschaftlicher Einschätzungen und gesellschaftlicher Werte. Klar ist: Eine bewusste Entscheidung zur Organspende – egal in welche Richtung – gehört zu einem selbstbestimmten Leben in einer demokratischen Gesellschaft und sollte nicht unbeachtet bleiben.

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren